Letzte Aktualisierung dieser Seite: 15.12.2006

[2C] Stadtanamnese

(Initiatorin: Dr. Elisabeth Häcker-Strobusch)

Herangehensweisen ganz unterschiedlicher professioneller Bereiche
zusammenzuführen – dies ist wesentliches Anliegen in der
Ausgestaltung der Jahrestreffen von Zukunftswerkstätten. In dieser
Arbeitsgruppe in Wien (2006) gelang es auf ganz besondere Weise:

Homöopathie und Stadtplanung lernen voneinander – nicht nur
theoretisch, sondern sehr praxisnah, denn der Hintergrund ist die
Zusammenarbeit eines homöopathischen Ärztevereins (DZVhÄ),
eines landesweiten Projekts zum Stadtumbau (IBA Sachsen-Anhalt)
und einer Stadt, die einerseits bekannt ist als Wirkungsort des
Hofkapellmeisters Johann Sebastian Bach ("Brandenburgische Konzerte")
und als Produktionsort für Bier und Förderanlagen, andererseits als
sogenannte "schrumpfende Stadt" um ihr Bestehen kämpft (Stadt Köthen).

Homöopathie als Entwicklungskraft für Stadtumbau und Zukunft
und mittendrin die Fragen zu Frust und Lust der Beteiligung. (Mitschrift des Gesprächsverlaufs in der Arbeitgruppe – in Stichworten, Protokollantin: Cornelia Krieger)

    Fragen zum Verständnis:
  • Wer hat die Entwicklung begonnen? DZVhÄ (Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte) und Stadtrat Köthen haben das Vorhaben gestartet, dann wurde ein IBA-Projekt daraus (Internationale Bau-Ausstellung Sachsen-Anhalt 2010).
  • Was bedeutet Geschichte bei der Anamnese = Krankengeschichte? Spannend, die Geschichte einer Stadt (Geschichte über 100 Jahre und länger) zur Analyse heranzuziehen – die Stadt als Wesen zu begreifen – ihr Selbstheilungskräfte zuzutrauen – "Eine Stadt lässt sich verarzten"
  • Welche Ursache hat die heutige Situation entstehen lassen? Anforderung von Außen (Indische Ärzte haben schon zu DDR-Zeiten das Haus Hahnemanns gesucht und besucht)
  • Wer hat welche Interessen? Wünschen die Bürger das auch? Haben das "nur" die Homöopathen? Es hat sich sehr schnell ein Verein in Köthen gegründet, der sich engagieren wollte. Das Ende der DDR war Auslöser für neue Bewegungen
  • Wer hat das Problem, wer hat welche Probleme? Welche Unterschiede gibt es? DZVhÄ – IBA – Stadt Köthen (Oberbürgermeister und Verwaltung) – Hahnemann-Lutze-Verein Köthen (gegründet 1990)
  • DZVhÄ will ein bundesweit wirkendes Zentrum für Homöopathie schaffen – um das vorhandene, historische Hahnemann-Haus herum (InHom, Bibliothek, Studiengang, Seminar- und Kongreßzentrum)
  • Stadt Köthen (Oberbürgermeister und Verwaltung) will einen Entwicklungsmotor für die Stadt, der aus der Depression und Schrumpfung herausführt, neue Akzente setzt
  • Hahnemann-Lutze-Verein Köthen will die historische und gewachsene Verbindung der Einwohner mit der Homöopathie erhalten, verstärken, pflegen
  • IBA will interessante, neue Entwicklungen zur Stadtsanierung international präsentieren
  • Schrumpfende Städte haben eine Geschichte, die auch in der allgemeinen, gesellschaftlichen Entwicklung zu sehen ist (Gesamtentwicklung)
  • Beobachterstatus: Was will man beobachten? Will man Kontrolle? Soll Freiheit eingeschränkt werden? (Horror Big Brother)
  • Auf welcher Seite steht die Moderation bei diesem Prozess in Köthen?
  • Aus anderen Erfahrungen scheint es wichtig, die Frage nach dem Ursprung zu stellen, auch wenn sie 100 und mehr Jahre alt sind. Beteiligung war früher anders, auch weil man andere Sorgen und Bedürfnisse hatte.
  • Wer wird beteiligt, können andere Strukturen entstehen? Können auch Mittel den Bürgern zur Verfügung gestellt werden? (Stichwort: Bürgerhaushalt) Oder bleibt wieder alles bei der Stadt?
  • Stichwort Saarland: Was würde diese Herangehensweise für das Saarland bedeuten? Dieses droht von Rheinland-Pfalz vereinnahmt zu werden.
  • Ähnliche Fragestellungen gibt es auch in der Supervision: Wie ist die Organisation entstanden? War zu Beginn ein Verein? Gab es Konflikte, wie ist man damit umgegangen? Diese Fragestellungen kann man auch für die Stadtanamnese nutzen.
    Ergebnisse der Diskussionen in Kleingruppen:
  • Beratung und Supervision von Organisationen – Träger von alten (verheilten?) Wunden
  • Alte Wunden müssen anerkannt werden, so dass dadurch neuer Bewegungsraum entsteht
  • Hinweis auch auf die Wunden der Verwaltung, der ":großen Politik" (Ulbricht, Honnecker)
  • Gibt es Parallelen zu früheren Schrumpfungsprozessen? (zum Beispiel Auswandererzeiten im 19. Jahrhundert)
  • Wichtig ist, die Bevölkerung viel zu beteiligen, Wertschätzung von Erfahrungen der Älteren
  • Wer stellt das "Rezept" aus? Sollte es nicht eher ein Konzept sein, eines von Beteiligung der Bevölkerung?
  • Heilung nach homöopathischer Methode / Therapie findet statt, wenn gezielte Information die Selbstheilungskräfte des Systems aktiviert. Durch die eigenen, rückgekoppelten Regelkreise setzt sich der anfängliche Impuls fort und führt über einen längeren Wirkzeitraum (Wochen, Monate, Jahre) zu neuen Ist-Werten. Diese Behandlungsform kann auch auf andere Systeme mit Regelkreisen angewendet werden, nicht nur auf Menschen und Tiere.
  • Beispiel: Alle möchten ggf. ins Grüne, also kann in der Innenstadt anders und grüner gebaut werden mit kleinen Häusern hier, so können weitere Möglichkeiten entwickeln werden, wie die Innenstadt erneut belebt wird.
  • Problem "Big Brother": Wie im Schwimmbad handeln: alle müssen mal ins Wasser. Bürger beobachten Politiker und vice versa, alle dürfen mal beobachten. So entsteht Gleichwertigkeit und gegenseitige Achtsamkeit.
  • Es gibt in den Städten kaum genutzte Brachen, diese werden abgesperrt oder schnell beseitigt. Sie stehen als Spiel- und Erfahrungsraum selten zur Verfügung. Idee: Sie anders und als Chance nutzen und zugänglich machen. Unordnung und Chaos zulassen als "Ursuppe", daraus entsteht immer etwas Unerwartetes, Neues. (Beispiel: Firma Röhm in Schorndorf wird zum beliebten Industriemuseum mit Galerie und Arbeitsräumen für Künstler)
  • Wie kann Bürgerbeteiligung in diesem Prozess entwickelt werden? Ein Mensch kann nur mit viel Wissen heilen, Bürger brauchen dazu Anleitung / Handwerkszeug.

  • Anamnesegespräche, wie mache ich das richtig bei Beteiligungsprojekten? Die Technik solcher Gespräche unterscheidet sich deutlich vom bisherigen Stil der Bürgerbefragung. Das lässt sich von homöopathischen Ärzten lernen und muss geübt werden, bevor die Aktion losgeht.
  • Für Köthen ist das Medizinische als Metapher passend, was könnte für andere Städte passen? Es geht hier um einen interdisziplinären Austausch von Bewährtem. Techniken aus einem Bereich werden auf einen anderen übertragen und in den Dienst der dort anstehenden Fragen gestellt. Ein Anamnesegespräch hat immer die Qualität eines Vier-Augen-Gespräches und bewirkt eine Begegnung im besten Sinn. Das engagierte, aktive Zuhören löst im Gegenüber einen Aktivierungsprozess aus – der Beginn eines Selbstheilungsmechanismus.
  • Hinweis aus dem Projekt Gürtel (Wien): Hier war schon immer eine Barriere – was lässt sich aus der bisherigen Geschichte dieser Barriere-Funktion lernen? Diese Fragestellung übertragen.
    Lesehinweise:
  • Schwedische Arbeiterselbstbeforschung im Buch von Sven Linquist: "Grabe wo Du stehst" – Handbuch zur Erforschung der eigenen Geschichte (Aus dem Schwedischen übersetzt und herausgegeben von Manfred Dammeyer), Bonn (Dietz Verlag) 1989.
    In weiteren Büchern wird über die "Grabe-wo-du-sehst"-Bewegung berichtet, z.B. Hubert Ch. Ehalt (Hg.): &nquot;Geschichte von unten", Wien (Böhlau) 1984; "Europa im Zeitalter des Industrialismus – Zur 'Geschichte von unten' im europäischen Vergleich, Hamburg (Dölling und Gailitz) 1993.
  • Andrea Breitfuss, Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Alexander Hamedinger: "Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung", Studie des Vereins "durch stadt + raum" Verein für raumbezogene Sozialforschung im Auftrag der Arbeiterkammer Wien.
    Anfrage von Dr. Walter Spielmann:
  • Wer will im November 2006 ein Referat in Mecklenburg-Vorpommern über die Idee Stadtanamnese halten? Die wollen etwas dem Schreck der Entvölkerung entgegen setzen ("Uckermark stirbt aus")



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