[2C] Stadtanamnese
(Initiatorin:
Dr. Elisabeth Häcker-Strobusch)
Herangehensweisen ganz unterschiedlicher professioneller Bereiche
zusammenzuführen – dies ist wesentliches Anliegen in der
Ausgestaltung der Jahrestreffen von Zukunftswerkstätten. In dieser
Arbeitsgruppe in Wien (2006) gelang es auf ganz besondere Weise:
Homöopathie und Stadtplanung lernen voneinander – nicht nur
theoretisch, sondern sehr praxisnah, denn der Hintergrund ist die
Zusammenarbeit eines homöopathischen Ärztevereins (DZVhÄ),
eines landesweiten Projekts zum Stadtumbau (IBA Sachsen-Anhalt)
und einer Stadt, die einerseits bekannt ist als Wirkungsort des
Hofkapellmeisters Johann Sebastian Bach ("Brandenburgische Konzerte")
und als Produktionsort für Bier und Förderanlagen, andererseits als
sogenannte "schrumpfende Stadt" um ihr Bestehen kämpft (Stadt Köthen).
Homöopathie als Entwicklungskraft für Stadtumbau und Zukunft –
und mittendrin die Fragen zu Frust und Lust der Beteiligung.
(Mitschrift des Gesprächsverlaufs in der Arbeitgruppe – in Stichworten,
Protokollantin:
Cornelia Krieger)
Fragen zum Verständnis:
- Wer hat die Entwicklung begonnen?
DZVhÄ
(Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte) und
Stadtrat Köthen haben das Vorhaben gestartet,
dann wurde ein
IBA-Projekt daraus (Internationale Bau-Ausstellung Sachsen-Anhalt 2010).
- Was bedeutet Geschichte bei der Anamnese = Krankengeschichte? Spannend, die Geschichte einer Stadt
(Geschichte über 100 Jahre und länger) zur Analyse heranzuziehen –
die Stadt als Wesen
zu begreifen – ihr Selbstheilungskräfte zuzutrauen – "Eine Stadt
lässt sich verarzten"
- Welche Ursache hat die heutige Situation entstehen lassen?
Anforderung von Außen (Indische Ärzte
haben schon zu DDR-Zeiten das
Haus Hahnemanns gesucht und besucht)
- Wer hat welche Interessen? Wünschen die Bürger das auch? Haben das
"nur" die
Homöopathen? Es hat sich sehr schnell ein Verein in Köthen gegründet, der sich
engagieren wollte. Das Ende der DDR war Auslöser für neue Bewegungen
- Wer hat das Problem, wer hat welche Probleme? Welche Unterschiede gibt es?
DZVhÄ – IBA – Stadt
Köthen (Oberbürgermeister und Verwaltung) – Hahnemann-Lutze-Verein Köthen
(gegründet 1990)
- DZVhÄ will ein bundesweit wirkendes Zentrum für
Homöopathie schaffen – um das vorhandene,
historische Hahnemann-Haus herum
(InHom, Bibliothek, Studiengang, Seminar- und Kongreßzentrum)
- Stadt Köthen (Oberbürgermeister und Verwaltung) will einen
Entwicklungsmotor für die
Stadt, der aus der Depression und Schrumpfung herausführt, neue Akzente setzt
- Hahnemann-Lutze-Verein Köthen will die historische und gewachsene
Verbindung der Einwohner mit der
Homöopathie erhalten, verstärken, pflegen
- IBA will interessante, neue Entwicklungen zur Stadtsanierung international präsentieren
- Schrumpfende Städte haben eine Geschichte, die auch in der allgemeinen,
gesellschaftlichen Entwicklung zu sehen ist (Gesamtentwicklung)
- Beobachterstatus: Was will man beobachten? Will man Kontrolle?
Soll Freiheit eingeschränkt werden?
(Horror Big Brother)
- Auf welcher Seite steht die Moderation bei diesem Prozess in Köthen?
- Aus anderen Erfahrungen scheint es wichtig, die Frage nach dem Ursprung zu stellen,
auch wenn sie 100 und
mehr Jahre alt sind. Beteiligung war früher anders, auch weil man andere
Sorgen und Bedürfnisse hatte.
- Wer wird beteiligt, können andere Strukturen entstehen?
Können auch Mittel den Bürgern zur
Verfügung gestellt werden? (Stichwort: Bürgerhaushalt) Oder bleibt wieder
alles bei der Stadt?
- Stichwort Saarland: Was würde diese Herangehensweise für das Saarland bedeuten?
Dieses droht von Rheinland-Pfalz vereinnahmt zu werden.
- Ähnliche Fragestellungen gibt es auch in der Supervision: Wie ist die
Organisation entstanden? War zu
Beginn ein Verein? Gab es Konflikte, wie ist man damit umgegangen? Diese Fragestellungen
kann man auch für die Stadtanamnese nutzen.
Ergebnisse der Diskussionen in Kleingruppen:
- Beratung und Supervision von Organisationen – Träger von alten (verheilten?) Wunden
- Alte Wunden müssen anerkannt werden, so dass dadurch neuer Bewegungsraum entsteht
- Hinweis auch auf die Wunden der Verwaltung, der ":großen Politik"
(Ulbricht, Honnecker)
- Gibt es Parallelen zu früheren Schrumpfungsprozessen? (zum Beispiel Auswandererzeiten im 19. Jahrhundert)
- Wichtig ist, die Bevölkerung viel zu beteiligen, Wertschätzung von
Erfahrungen der Älteren
- Wer stellt das "Rezept" aus? Sollte es nicht eher ein Konzept sein,
eines von Beteiligung der Bevölkerung?
- Heilung nach homöopathischer Methode / Therapie findet statt, wenn gezielte
Information die
Selbstheilungskräfte des Systems aktiviert. Durch die eigenen, rückgekoppelten Regelkreise
setzt sich der anfängliche Impuls fort und führt über einen längeren Wirkzeitraum
(Wochen, Monate, Jahre) zu neuen Ist-Werten. Diese Behandlungsform kann auch auf andere Systeme mit
Regelkreisen angewendet werden, nicht nur auf Menschen und Tiere.
- Beispiel: Alle möchten ggf. ins Grüne, also kann in der Innenstadt anders
und grüner gebaut
werden mit kleinen Häusern hier, so können weitere Möglichkeiten entwickeln
werden, wie die Innenstadt erneut belebt wird.
- Problem "Big Brother": Wie im Schwimmbad handeln: alle müssen mal ins Wasser.
Bürger beobachten Politiker und vice versa, alle dürfen mal beobachten. So entsteht Gleichwertigkeit
und gegenseitige Achtsamkeit.
- Es gibt in den Städten kaum genutzte Brachen, diese werden abgesperrt oder schnell beseitigt. Sie stehen
als Spiel- und Erfahrungsraum selten zur Verfügung. Idee: Sie anders und als Chance nutzen und
zugänglich machen. Unordnung und Chaos zulassen als "Ursuppe", daraus entsteht immer etwas
Unerwartetes, Neues. (Beispiel: Firma Röhm in Schorndorf wird zum beliebten Industriemuseum mit
Galerie und Arbeitsräumen für Künstler)
- Wie kann Bürgerbeteiligung in diesem Prozess entwickelt werden? Ein Mensch kann nur mit viel Wissen
heilen, Bürger brauchen dazu Anleitung / Handwerkszeug.
- Anamnesegespräche, wie mache ich das richtig bei Beteiligungsprojekten? Die Technik solcher
Gespräche unterscheidet sich
deutlich vom bisherigen Stil der Bürgerbefragung. Das lässt sich von
homöopathischen Ärzten lernen und muss geübt werden, bevor die Aktion losgeht.
Als ersten Leitfaden stellte
Dr. Elisabeth Häcker-Strobusch
in Wien in Anlehnung an das homöopathische Grundlagenwerk "Organon" § 83 bis § 90 eine
Analogie für Städte zur Verfügung.
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Für Köthen ist das Medizinische als Metapher passend, was könnte für andere Städte
passen? Es geht hier um einen interdisziplinären Austausch von Bewährtem. Techniken aus einem
Bereich werden auf einen anderen übertragen und in den Dienst der dort anstehenden Fragen gestellt.
Ein Anamnesegespräch hat immer die Qualität eines Vier-Augen-Gespräches und bewirkt eine
Begegnung im besten Sinn. Das engagierte, aktive Zuhören löst im Gegenüber einen
Aktivierungsprozess aus – der Beginn eines Selbstheilungsmechanismus.
Hinweis aus dem Projekt Gürtel (Wien): Hier war schon immer eine Barriere – was lässt sich
aus der bisherigen Geschichte dieser Barriere-Funktion lernen? Diese Fragestellung übertragen.
Lesehinweise:
- Schwedische Arbeiterselbstbeforschung im Buch von Sven Linquist:
"Grabe wo Du stehst" – Handbuch zur Erforschung
der eigenen Geschichte (Aus dem Schwedischen übersetzt und herausgegeben von Manfred Dammeyer),
Bonn (Dietz Verlag) 1989.
In weiteren Büchern wird über die "Grabe-wo-du-sehst"-Bewegung berichtet,
z.B. Hubert Ch. Ehalt (Hg.): &nquot;Geschichte von unten", Wien (Böhlau) 1984;
"Europa im Zeitalter des Industrialismus – Zur 'Geschichte von unten' im europäischen Vergleich,
Hamburg (Dölling und Gailitz) 1993.
- Andrea Breitfuss, Jens S. Dangschat, Oliver Frey, Alexander Hamedinger:
"Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung", Studie des Vereins "durch stadt +
raum" Verein für raumbezogene Sozialforschung im Auftrag der Arbeiterkammer Wien.
Anfrage von
Dr. Walter Spielmann:
- Wer will im November 2006 ein Referat in Mecklenburg-Vorpommern über die Idee
Stadtanamnese halten?
Die wollen etwas dem Schreck der Entvölkerung entgegen setzen
("Uckermark stirbt aus")
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Arbeitsgruppe:
-
Ute Bortlik,
Jürgen Brodbeck,
Birgit Carstensen,
Stephan G. Geffers,
Dr. Elisabeth Häcker-Strobusch,
Cornelia Krieger,
Hannes Mathis,
Hagen Neidel,
Angelika E. Solle,
Anne Quatmann,
Christina Schneider,
Dr. Walter Spielmann.
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Programm und Protokoll ZW2006
4 Teile
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